: Streng blicken die Ajatollahs
Das deutsche Team sorgt beim Gastspiel in Teheran für ein gewaltiges Fußballfest, gewinnt vor 110.000 ZuschauerInnen etwas glücklich mit 2:0, vermeidet es gegen die technisch versierten Gastgeber aber sorgfältig, spielerischen Glanz zu verbreiten
VON MATTI LIESKE
Die Gesichter der Ajatollahs Chomeini und Ali Chamenei, die von riesigen Fotos auf das Treiben im Azadi-Stadion von Teheran hinunterblicken, schienen noch eine Spur missmutiger zu wirken als gewöhnlich. Es konnte den geistlichen Herren auch kaum gefallen, was sich in der gewaltigen Arena tat, womit weniger der gebotene Fußball beim 2:0-Sieg der Deutschen gegen den Iran im Benefiz-Länderspiel für die Erdbebenopfer von Bam gemeint ist, als vielmehr das Drumherum. 110.000 Menschen im Stadion, darunter auch etwa 200 Frauen, denen entgegen ursprünglichen Ankündigungen doch noch Zugang gewährt wurde, bekamen nicht nur eine Lasershow geboten, sondern auch verpönte westliche Rockmusik, wenn auch in halbwegs mullahkompatibler Form. Die Band Inan bot Weisen von Eric Clapton, Dire Straits und Eagles dar. Weitere 150.000 Menschen standen derweil vor dem Stadion und hofften vergebens auf Einlass. Es ist lange her, dass ein Auftritt der deutschen Nationalmannschaft eine solche Begeisterung hervorgerufen hat. Bundestrainer Jürgen Klinsmann sah den Jubel um sein Team natürlich mit großem Wohlgefallen, schließlich ist er angetreten, vergleichbare Zustände der Verzückung bis zum Jahre 2006 auch in der Heimat zu entfachen.
Das Spiel selbst zeigte allerdings, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, auch wenn das schnelle Tor von Fabian Ernst in der 5. Minute, welches der Euphorie des Publikums, das bei aller Wertschätzung für die Gäste doch lieber die eigene Mannschaft siegen sehen wollte, einen kräftigen Dämpfer verpasste, die gröbsten Ängste bannte. Zuvor hatten die flinken Iraner bereits mehrere gefährliche Angriffe inszeniert, und auch nach dem 0:1 ließen sie es sich nicht nehmen, die jugendliche Abwehr des DFB-Teams von einer Verlegenheit in die andere zu stürzen. Erst als Brdaric nach einem Konter in der 53. Minute das 2:0 erzielt hatte, erlahmte der Elan der Gastgeber, denen in der letzten halben Stunde zunehmend ihre wichtige Partie in der WM-Qualifikation am Mittwoch gegen Katar im Kopf herumzuspuken schien.
Im Grunde dauerte das Spiel also 60 Minuten, und in dieser Zeit zeigte sich, dass bei aller Innovationsfreudigkeit vor allem zwei Dinge aus der Ära Völler geblieben sind: die Fähigkeit, Tore zu erzielen, ohne sich Torchancen herauszuspielen, und das Problem, dass sich deutsche Abwehrleute im direkten Duell leicht austricksen lassen, vor allem auf den Außenpositionen. Besonders die Dribbelkünstler Mahdavikia und Karimi nützten das weidlich aus, die Iraner scheiterten jedoch immer wieder an ihrer eklatanten Schuss- und Abschlussschwäche, gelegentlich auch an Torhüter Jens Lehmann, dem ein auf den Platz geeilter iranischer Fan sogar die Handschuhe küsste. Offenbar hielt er ihn für Oliver Kahn – vielleicht ja sogar für Sepp Maier.
Der, das wurde gestern bekannt gegeben, darf fortan nicht mehr als Torwarttrainer des DFB wirken, weil er es laut Team-Manager Oliver Bierhoff an der nötigen Neutralität im Dauerstreit der beiden Altkeeper Kahn und Lehmann mangeln ließe. Während Klinsmann das Gerangel um den Platz auf der Linie ein „Luxusproblem“ nannte, erklärte Franz Beckenbauer ebenso unwirsch wie korrekt: „Das Problem ist nicht der Torwart-Trainer, sondern das sind die beiden Spieler.“
„Mit 2:0 vor dieser Kulisse nach Hause zu fahren, ist ein tolles Erlebnis“, freute sich Jürgen Klinsmann über den zweiten Sieg seiner bislang dreispieligen Bundestrainerkarriere und geriet wie gewohnt sogleich ins Schwärmen: „Wir haben eine unheimliche Qualität in dieser Truppe, da wächst etwas Besonderes zusammen.“ Zu sehen war von dieser Qualität in Teheran allerdings nicht übermäßig viel. Das angestrebte schnelle Spiel nach vorn fand nur selten statt, Ballack und Deisler mussten die Herrschaft im Mittelfeld über weite Strecken an die Iraner abtreten, im Angriff verbreiteten weder Klose und Brdaric noch Asamoah und Podolski sonderlich Angst und Schrecken. In der Abwehr hingegen gab es nicht nur bei Lahm und Görlitz Zweikampfschwächen, sondern auch beim sehr talentierten und zuletzt hochgelobten Robert Huth.
Unbestreitbar ist jedoch, dass die äußerst junge Mannschaft, die in Teheran auf dem Platz stand, Potenzial besitzt, auch wenn Klinsmanns Berufungspolitik ein wenig an den Aktionismus eines Erich Ribbeck gemahnt, bei dem auch jeder mal auflaufen durfte, der ein paar akzeptable Ligaspiele bestritten hatte.
Ob dieses Konzept der frühen Feuertaufen erfolgreicher ist als die kontrollierte Verjüngung nach Art Rudi Völlers oder eher in ein Desaster Ribbeck’schen Ausmaßes mündet, wird sich erst bei der WM 2006 zeigen, dem ultimativen Ziel, das Jürgen Klinsmann als Gradmesser für seine Amtszeit ausgegeben hat. Darauf arbeitet er so gezielt hin wie Franziska van Almsick zuletzt auf ihren Olympiasieg in Athen. Und hofft natürlich auf jenes Happy End, das der Schwimmerin verwehrt blieb.